Einige (Liebes-)Erklärungen über K.

Einige (Liebes-)Erklärungen über K.
Abschrift eines von mir (Maria Schneider-Klampäckel, damals Maria Schneider) 1981 verfassten Textes zur Veröffentlichung im Katalog zur Ausstellung der Bleistiftzeichnungen von Gerhard Klampäckel in der Berliner Galerie ARKADE.

Dieser Text wurde allerdings nicht im Katalog zur Ausstellung  veröffentlicht – aus politischen Gründen, so informierte mich damals die Galerie. Heute wird diese Begründung höchstwahrscheinlich für vor allem jüngere Leser kaum nachvollziehbar sein – so ein kleiner Text, nicht gedruckt aus politischen Gründen?! – Den Text zu schreiben, hatte ich den Auftrag erhalten und mit Gerhard Klampäckel über seine schon legendären Bleistiftzeichnungen gesprochen. Schlussendlich überstand der kleine Text die anno 1981 herrschende Zensur nicht. Ja, so isses eben manchmal gewesen… Die Ausstellung in der Berliner ARKADE aber wurde ein Erfolg.

Da der Autorin der Text bei Sichtung des Nachlasses von Gerhard Klampäckel wieder in die Hände gefallen ist – und auch nach über zwei Jahrzehnten Gültigkeit besitzt, wurde der Originaltext schließlich hier veröffentlicht. Gerhard Klampäckel hat der Text sehr gefallen – und wenn ihr seine Bilder kennt und besonders eben auch diese Bleistiftzeichnungen, dann findet ihr vielleicht etwas von ihm selbst und seiner Kunst gespiegelt in den folgenden Worten, Sätzen und Gedanken. Das wäre schön, und mehr soll es nicht sein.

Einige (Liebes-)Erklärungen über K.

„Trauert, Götter der Liebe! Trauert Menschen, die ihr liebt oder die ihr euch geliebt wißt!” Besser entspricht ihm vielleicht: „Leben laß uns und lieben, meine Lesbia, und das Lästern verkalkter Greise soll uns keinen lumpigen Pfennig wert sein!” Beides zitiert nach Catull – um 87 bis um 34 v.u.Z., verwegenster und größter Liebesdichter Roms zur Zeit Cäsars—

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Mit fallen Catull und seine Gedichte ein. Stelle mir vor, daß K. ihm nahestehen müßte. Ähnlich dem Dichter auf seine Weise, besingt – ja! – auch er Liebe und Lust und Leid, anders schon aus dem schmerzlichen Wissen des Alters um stets gegenwärtige, nahe Vergänglichkeit menschlicher Existenz, um die Unzulänglichkeit wie die Sehnsucht nach Vollendung. Trauer ist es wohl weniger. Will sie ihn ergreifen, siegt die große Lust: zu leben.

Was heißt „besingen”? Urwüchsig-naturhaftes, zugleich doch kultiviertes Schwingen, Wogen, einander verwoben werden und sein, übersinnliches Beben, leise schwimmende Zärtlichkeit und tolldreistes Begehren in einem: Strawinskys „Sacre”, die erotischste Musik, die ich kenne oder Orffs „Catulli carmini”, ekstatischer Rausch von Tönen und Rhythmus. Catull – also wieder, und doch anders.

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Für mich vor allem ein sehr guter Zeichner: „Die Zeichnungen bin ich!” Zurückhaltend bleibende Perfektion im Beherrschen auch dieser Technik. Basis für den nicht abzustreitenden auch ästhetischen Reiz. Warum sich dem entziehen wollen… Endlichkeit aus der Unendlichkeit des Universums geschöpft – oder auch umgekehrt, wer weiß das schon. Ständiges Infragestellen (auch der eigenen Individualität) bleibt ständig notwendiger Grund und ebensolches Abenteuer, zu Neuem zu gelangen. Das mache doch jeder — Stimmt nicht: Nur wer ernsthaft und wissend, nimmt die Last des Zweifelns, Zweifeln-Müssens so auf sich.

Voraussetzung die Fähigkeit, ungeheure Freude am Leben wie auch empfindsam zu sein für alles Leid der Welt, abzubilden, auf diese Weise – wie er sagt – „Mitschöpfer mitten in der Schöpfungsgeschichte” zu sein: „Eindrückbare, reizbare Stellen ausfindig machen!” Also nicht nur abbilden schlechthin.

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Abenteuerlich, diesen Bildern zu begegnen. Da wäre soviel zu sagen, was ungesagt bleiben muß. Da muß gelebt, versucht werden nachzuleben. Gibt es das? Nicht Träume, nahe Gegenwärtigkeit – hautnahe Nähe von Menschlichkeit, vom Menschen, auch im direktesten Sinne zu verstehen.

Doch Traum: Traum von Leben, Traum vom Leben, lebendiger Traum von der Möglichkeit zu leben mit dem Angebot: Liebe. Alternative Leben bei K. ist die Liebe.

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Zeichnungen von verschlüsselter Transparenz. Sichtbare, fast körperliche Akkuratesse des Strichs vergeht in der Musik dieser Bilder – oder vielmehr: geht in ihr auf. Ich möchte auch eine Landschaft finden, in der dies entstehen muß. Ich finde sie nicht. Aber ich habe doch gefunden: menschliche Landschaft und die zart-harte Tiefe dessen, was wir – wenn überhaupt – Seele zu nennen versucht bleiben. Eine Ahnung davon mindestens —

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Taumel von Worten: ahnen, suchen, vielleicht finden, vielleicht nicht, nie finden, doch gefunden haben, haben wollen, besitzen, nicht haben können, nicht fähig sein, aufnehmen – leben, spüren, erleben, empfinden, nachvollziehen, denken, grübeln, lachen, weinen, verfluchen, anbeten – leben, halten, festhalten, wegnehmen, versuchen, fassen, erfassen, versuchen zu erfassen, dasein, hiersein, nahsein, sehr-, ganz nahsein – leben, flüstern, sprechen, schreien, rufen, sagen, streiten, versprechen, singen – leben, gehen, liegen, weglaufen, kommen, tanzen, taumeln, steigen, wieder halten, bleiben, umarmen, festhalten – leben, lieben – leben.

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„Leben ist Schönheit – immer” (?!) Deutlicher: Leben = Schönheit,

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„Man trennt sich sehr schwer von den Blättern – aber ich kann Neues machen, ich bin voll davon!” Beneidenswert ebenso diese ungeheure Produktivität (in verschiedenen Techniken). Produktivität in dieser auch gewählten Zurückgezogenheit. Die Einsamkeit hingegen hat er nicht gesucht: „Mich nicht bewegen können, das ist das schlimmste!”

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Was also ist’s? — Daß einer solch lebendige Zärtlichkeit in Bilder bringen kann! Sinnlich-erregendes Gewitter, verhaltene Flüchtigkeit wie schwebend-vibrierende Schönheit eines Augenblicks, Suche nach Erkenntnis, Wissen wie ungestillte Sehnsucht … wonach? Bilder, die gelebt werden müssen, die zwingen zu leben. Botschaft: Bekenntnis zum Leben. Ist das alles? – Ist das noch zuwenig?

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Manchmal liebe ich die Gedichte fast mehr: Geschichten, Begegnungen, Erfahrungen, Fragen eines Betroffenen – „Spielraum fürZweifel”. Heiter mit einem Hauch von Tristesse, traurig in ihrem bitter-ironischen Humor. Vorlese-Gedichte. Ist es wahr, daß solche Worte erst später gefunden werden können? Ach, armer Catull und Samoa ist weit —

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Unter’m Dach, eine wie sich erwies nicht ungefährliche Holztreppe hoch, das Atelier: Frühsommer, das Dach heizt Schwüle, blauer Landhimmel durch schmale Fenster, grüne Wildheit des Gartens, das alte Haus und Ann, betörend-junge Zierlichkeit, trügerische Ruhe.

Eine Ahnung — Fast-Frieden in der Begegnung, doch unruhiger verläßt du Haus und Bewohner. Wiederkommen.

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Wiederkommen – auch dieser Zeichnungen wegen. „Das is’n schönes Blättel?!”

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Viele schwatzen darüber. Aber nicht in der Nacktheit eines Hinterns begründet sich die ungestüme Erotik dieser Zeichnungen —

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Von der Farbe haben wir nicht gesprochen, von der klassischen Schönheit, die dieses Grau bestimmt. Wer erkennt nicht alle Farben darin wieder? Und mehr noch: Nennen wir es also – ich habe es so genannt – das sinnliche Grau.

Mai/ Juni‚ 81

(Schneider)